Es war ein emotionaler Einstieg in den Tag der offenen Tür Para-Dressur: Menschen mit einer unfallbedingten oder angeborenen Köper- oder Sinnesbeeinträchtigung erhielten Gelegenheit, bei der erfahrenen Para-Dressur-Ausbilderin Lea Balett-Städler ein Schnuppertraining zu absolvieren. Manche brachten schon Reiterfahrung mit, andere erlebten erstmals das Gefühl, auf dem Rücken eines Pferdes ein neues Bewegungsgefühl zu erlangen. Die strahlenden Augen der Reiterinnen und Reiter, die einfühlsame Begleitung der Trainerin und nicht zuletzt die aufmerksame und rücksichtsvolle Mitarbeit der Pferde berührte alle Anwesenden – die Reiterinnen und Reiter selbst, aber auch das interessierte Publikum und die Disziplinverantwortlichen von Swiss Equestrian.
Vom Breitensport zum Spitzensport
Die fortgeschrittenen Para-Dressur-Reiterinnen und -Reiter kamen in den Genuss einer exklusiven Unterrichtseinheit bei der Dressurtrainerin Patricia Schärli, die unter anderem die Elitekader-Reiterin Nicole Geiger trainiert und diese im September auch an die Paralympischen Spiele von Paris begleitet hat. Nicole Geiger war denn auch die erste Reiterin, die an diesem öffentlichen Training eindrücklich bewies, dass Para-Dressurreiten ein Leistungssport ist, der in der Schweiz auf hohem Niveau betrieben wird.
Klassifizierung als Basis für fairen Sport
Da jede Reiterin und jeder Reiter ganz individuelle Einschränkungen mitbringt, werden diese jeweils von einem speziell ausgebildeten Arzt oder Physiotherapeuten klassifiziert und in einen der fünf sogenannten «Grades» eingeteilt. Eine solche Klassifizierung, die die Grundlage für den fairen Turniersport bildet, war auch am Para-Dressur-Wochenende in Bern möglich. Der dafür angereiste deutsche Arzt Dr. med. Stefan Sevenich erläuterte zudem in einem Referat die Hintergründe und Kriterien dieser Klassifizierung (engl.: «Grading»).
Er betonte dabei, dass der Fokus der Klassifizierung darauf gerichtet ist, inwiefern die Körper- oder Sinnesbeeinträchtigung die reiterlichen Möglichkeiten beeinflusst. Beispielsweise kann eine fehlende Extremität auf dem Pferd unter Umständen nur wenig ins Gewicht fallen, während eine neurologisch bedingte mangelnde Rumpfstabilität beim Reiten deutlich limitierend sein kann, wie Dr. med. Sevenich erklärte. Im Rahmen der Klassifizierung wird zudem festgelegt, welche zusätzlichen Hilfsmittel jemand im Turniersport einsetzen darf, seien es magnetische Steigbügel, eine spezielle Zügelführung, eine Hilfsperson für das Aufwärmen des Pferdes und vieles andere mehr.
Augen auf beim Para-Pferde-Kauf
Der Disziplintierarzt und Equipenchef der Schweizer Para-Dressurreitequipe Dr. med. vet. Fabian Gieling informierte in seinem Referat über Grundsätzliches zum Athleten Pferd und dessen Bedürfnissen. Ausserdem nahm er Bezug auf die aktuelle Situation im internationalen Para-Dressursport und die hohe Qualität der Pferde, die in dieser Disziplin im Einsatz sind.
Während alle Para-Pferde grundsätzlich ein ausgeglichenes Temperament und einen guten Charakter mitbringen müssen, stellen die einzelnen «Grades» unterschiedliche Anforderungen an die Grundqualität der Pferde. Während die Pferde beispielsweise im Grade I, wo die Prüfungen ausschliesslich im Schritt geritten werden, einen überdurchschnittlich guten Schritt mitbringen und sehr zuverlässig auf feinste Hilfen reagieren müssen, werden im Grade V Pferde verlangt, die auch im Regelsport auf M- bis S-Niveau laufen könnten.
Blick hinter die Kulissen der Paralympics
Die erfahrene internationale Para-Dressurreiterin Nicole Geiger, die zuletzt die Schweizer Farben an den Paralympischen Spielen im Dressurviereck von Versailles vertreten hat, nahm das begeisterte Publikum in ihrer Fotopräsentation mit auf ihre emotionale Reise zu den Paralympics in Paris, mit allen Hochs und Tiefs auf dem Weg zur Erfüllung dieses Traums. Sie zeigte eindrücklich auf, wie professionell dieser Spitzensport auf Weltklasseniveau betrieben werden muss und wie viel vorausschauende Planung dazugehört.
Auf Augenhöhe – Inklusion in der Pferdewelt
Swiss Equestrian gehört zu den zehn ausgewählten Sportverbänden, die von Swiss Olympic für die Umsetzung eines Inklusionsprojekts unterstützt werden. Rita Albrecht-Zander von der Fachstelle Inklusion von Swiss Olympic war am Tag der offenen Tür ebenfalls anwesend und verdankte das grosse Engagement von Swiss Equestrian für den Para-Sport, eine Dynamik, die sie in kaum einem anderen Sportverband erlebe.
Mit dem Inklusionsprojekt, das auf mehrere Jahre ausgelegt ist, werden verschiedene Massnahmen zur Förderung des Para-Reitsports in der Schweiz aufgegleist – der Tag der offenen Tür ist eine davon. Zu den weiteren Schwerpunkten gehören die Gewinnung von weiteren Para-Sportlerinnen und Sportlern, die Ausbildung von Para-Dressurtrainern und die bessere Integration der Para-Dressur im nationalen Turniergeschehen. Dank der Unterstützung von Swiss Olympic konnte Swiss Equestrian für dieses Projekt eine Fachperson für die Inklusion einstellen: Monika Huber-Meier, die selbst eine Einschränkung hat und die Herausforderungen im (Pferdesport)Alltag kennt.
Sowohl der Präsident von Swiss Equestrian Damian Müller als auch die Sportmanagerin Evelyne Niklaus betonten, dass es das Engagement aller braucht, um die Disziplin auf verschiedenen Ebenen zu fördern. Seien es die Regionalverbände mit ihren Ausbildungsangeboten, die Organisatoren von Reitsportturnieren oder auch die Pferdebesitzer, die ihre Pferde aufstrebenden Para-Dressurtalenten zur Verfügung stellen.
Gemeinsam in die Zukunft
Pferde kennen im Gegensatz zum Menschen keine Berührungsängste im Umgang mit Menschen mit Einschränkungen. Sie reagieren mit viel Einfühlungsvermögen und Leistungsbereitschaft – was zählt, ist das Machbare, basierend auf Vertrauen, Respekt und Toleranz. Nehmen wir uns die Pferde zum Vorbild und entwickeln die Disziplin gemeinsam weiter.
Kontakt
Bei Fragen rund um den Para-Dressursport und die Inklusion in der Pferdewelt, wenden Sie sich gerne an: