Quelle: Broschüre «Schweizer Kaderreiter - Springen | Dressur | Concours Complet 2025», herausgegeben von der «Pferdewoche».
Evelyne Niklaus, in dieser Kaderbroschüre sind die Elite und die Nachwuchstalente der olympischen und paralympischen Disziplinen zusammengefasst. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in diesen Disziplinen?
Mit Einzelsilber im Springen an den Olympischen Spielen von Paris im Sommer 2024 hat Steve Guerdat mit Dynamix de Bélhème eine absolute Spitzenleistung erbracht. Und auch die beiden olympischen Diplome im Concours Complet für Felix Vogg im Einzel und für das Schweizer Team sind herausragende Resultate, auf die wir stolz sein dürfen. Auch in den Disziplinen Voltige und Fahren haben die Athletinnen und Athleten Grossartiges geleistet. Es gab aber auch Ausrutscher, die wir analysieren müssen: im Springen die enttäuschende Teamleistung in Paris oder die durchzogene Bilanz der Nationenpreissaison; auch in der Dressur gibt es offene Fragen, die wir angehen müssen. Als Verband dürfen wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern müssen proaktiv die Zukunft gestalten. Diese Erfolge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es viel zu tun gibt im Bereich Spitzensport der olympischen und paralympischen Disziplinen. Und auch der Breitensport spielt eine zentrale Rolle. Denn was wir im Breitensport richtig machen, trägt später im Spitzensport seine Früchte. Wir müssen in all den angesprochenen Disziplinen die Leistungsdichte gezielt vergrössern, und dies schon im Nachwuchsbereich.
Dies hat sich insbesondere das Nachwuchsförderprogramm Swiss Equestrian Talents für die drei olympischen Disziplinen Concours Complet, Dressur und Springen
zum Ziel gemacht. Welche Bilanz ziehen Sie nach dem ersten Jahr?
Die Bilanz des ersten Jahres von Swiss Eques trian Talents ist sehr positiv. Das Ziel, die jungen Talente vom Breitensport in den Spitzensport zu begleiten und ihnen über die Jahre das Rüstzeug für eine Profikarriere mitzugeben, wird erfüllt. Wir fördern die jungen Talente nicht nur reiterlich, sondern unterstützen sie auf dem Weg zu kompletten Athleten. Die Agenda von Swiss Equestrian Talents wird 2025 fortgeführt, mit punktuellen Optimierungen aufgrund der gemachten Erfahrungen und Feedbacks sowie beispielsweise der Rückmeldungen aus den Regionalverbänden, was den Scouting Day betrifft.
Und wie sieht es im Para-Sport aus?
Im Bereich des Para-Sports gehört Swiss Equestrian zu den zehn ausgewählten Sportverbänden, die von Swiss Olympic für die Umsetzung eines Inklusionsprojekts unterstützt werden. Mit dem Inklusionsprojekt, das auf mehrere Jahre ausgelegt ist, werden verschiedene Massnahmen zur Förderung des Para-Reitsports in der Schweiz aufgegleist – der Tag der offenen Tür im Oktober 2024 war eine davon. Zu den weiteren Schwerpunkten gehören die Gewinnung von weiteren Para-Sportlerinnen und -Sportlern, die Ausbildung von Para-Dressurtrainern und die bessere Integration der Para-Dressur im nationalen Turniergeschehen. Im März 2025 findet beispielsweise eine Richterschulung für die Para-Dressur mit dem deutschen FEI Richter Marco Orsini statt. Die Para-Dressur erlebt in der Schweiz gerade einen neuen Aufschwung, was uns sehr freut und den wir im Rahmen unserer Möglichkeiten in jeder Hinsicht unterstützen.
Diese Massnahmen betreffen in erster Linie den Breitensport. Wie sieht es in diesem Bereich in den anderen Disziplinen aus?
Der Breitensport bildet immer die Basis für den Spitzensport, deshalb sind diese beiden Bereiche zwei der vier Säulen, die das Dach unseres Verbandes tragen. Die anderen beiden Bereiche sind die Dienstleistungen und die Ethik. Für die Weiterentwicklung des Pferdesports in den einzelnen Disziplinen sind die jeweiligen Technischen Komitees zuständig. Wir haben 2024 die Daten zu den Entwicklungen im Turniersport der letzten zwölf Jahre aufbereitet sowie in den Technischen Komitees die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken jeder Disziplin analysiert. Draus werden nun konkrete Massnahmen abgeleitet, um die Zukunft des Pferdesports in der Schweiz zu sichern. Dank dem neuen Reglementsänderungsprozess, der im Herbst 2024 verabschiedet wurde, können wir nun flexibler neue Lösungsansätze einführen. Neu gibt es drei Erlassformen: Reglemente, Richtlinien und Projekte. Letztere dienen dazu, Pilotprojekte rasch und für einen Zeitraum von maximal zwei Jahren versuchsweise umzusetzen. Bewähren sie sich, werden sie nach der Pilotphase in ein Reglement oder eine Richtlinie überführt. Wir müssen jetzt handeln und innovativ sein, um wieder mehr Menschen für den Turniersport zu begeistern. Dabei spielen die Technischen Komitees eine zentrale Rolle. Es ist für alle sehr motivierend, ganz konkret an der Weiterentwicklung unseres tollen Sports zu arbeiten. Es ist aber auch eine grosse Verantwortung, welche die Technischen Komitees jetzt wahrnehmen müssen. Eine konkrete Massnahme für 2025 ist die Einführung von neuen Einsteigerprüfungen im Springen, um Kinder schon früh und stufengerecht an den Turniersport heranzuführen. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Andere Ideen werden nun weiter vertieft und umgesetzt. Ausserdem hat Swiss Olympic Ende 2024 unser Förderkonzept für den Breitensport angenommen, sodass wir künftig auch hier vermehrt auf die Unterstützung des Dachverbands für den Schweizer Sport zählen können. Die Beziehung zwischen Pferd und Mensch ist einzigartig und steht immer im Zentrum bei all den Gedanken, die wir uns um die Zukunft unseres tollen Sports machen. Das ist auch das Ziel unserer mehrjährigen Kampagne «Lebensgefühl Pferd», die aufzeigt, dass der Umgang mit dem Pferd viel mehr ist als ein Sport.
Sie haben die Säule der Ethik angesprochen.Was muss man sich darunter vorstellen in Bezug auf den Pferdesport?
Die Ethik hat in unserem Sport eine weitaus grössere Dimension als in anderen Sportarten. Sie umfasst nicht nur das Verhalten von Mensch zu Mensch, sondern auch den Umgang mit dem Pferd. Es geht um das Respektieren von Würde und Bedürfnissen von allen Beteiligten. Als Verband müssen wir aufklären sowie Lösungen bieten, wenn problematische
Situationen erlebt oder beobachtet werden. Es gibt klare Grenzen, wie das Tierschutzgesetz oder Anti-Doping-Regeln. Es gibt aber auch viele Graubereiche. Gerade diese Graubereiche haben auch viel mit fehlendem Wissen zu tun, weshalb wir im Rahmen der Ethik-Säule auch sehr viel in die Ausbildung investieren, beispielsweise von Nachwuchsathleten, Trainern oder Offiziellen, unter anderem im Rahmen des Swiss Equestrian Forums im Februar 2025. Eines ist klar: Nur gemeinsam mit allen Akteuren und unter Berücksichtigung aller vier Säulen von Swiss Equestrian können wir die Zukunft des Pferdesports in der Schweiz und darüber hinaus, vom Breitensport zum Spitzensport, sichern.