«Im Endurance führt der Weg zum Erfolg absolut zwingend durch das Vetgate.»

Annina Rohner-Cotti ist keine Unbekannte in der Schweizer Endurance-Szene: Sie ist schon seit Jahren erfolgreiches Elitekader-Mitglied und amtierende Schweizermeisterin. Auch war sie bisher bereits Mitglied im Technischen Komitee Endurance und hatte das Amt Technik / Offizielle inne, das jetzt vakant ist. Neu übernimmt sie das Amt der Disziplintierärztin.

Annina Rohner-Cotti als offizielle Tierärztin im Vetgate eines Distanzrennens in der Schweiz. Foto: Lea Styger

Annina, was ist deine Motivation, dich neu als Disziplintierärztin Endurance einzusetzen?
Schon seit mehreren Jahren stehe ich regelmässig an nationalen Distanzritten als Tierärztin im Vetgate. Ich finde es sehr wertvoll, so nah dran zu sein an der ganzen Schweizer Endurance-Community mit ihren Pferden und Ponys. Da lernt man die Pferde gut kennen, und natürlich auch die Reiter:innen und ihren Umgang sowie ihre Einstellung zum Pferd und zum Sport. Und wenn man die Leute gut kennt, kann man sie eher erreichen und vielleicht auch ein bisschen Einfluss nehmen, zu Gunsten des Wohlbefindens der Pferde (Welfare oft he Horse) und zu Gunsten des Images der Disziplin Endurance. In der Disziplin Endurance führt der Weg zum Erfolg absolut zwingend durch das Vetgate, auch im Ziel. Dass wir Tierärzte im Distanzsport diesen Einfluss und natürlich auch diese Verantwortung haben, das motiviert mich, in dieser Disziplin nun Disziplintierärztin zu sein.

Bleibst du auch Kadermitglied?
Ich durfte mit meinem Pferd Bango Coutillas als Kadermitglied sportlich alles und sogar mehr erreichen, als ich mir je erträumt habe. An den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr im französischen Monpazier, habe ich erleben dürfen, zu was für einer unglaublichen Leistung ein Pferd fähig ist, wenn es seinen Job kennt und «Ja!» sagt dazu. Mein Bango ist die 160 Kilometer dieser Weltmeisterschaft, auch bei Dunkelheit und Gewitterregen und auf weitgehend schlammigen Singletrails, mit gespitzten Ohren bis ins Ziel gelaufen. Ich habe mit Bango das beste Resultat für das Schweizer Team geliefert und damit zum hervorragenden 5. Platz in der Team-Wertung beigetragen. Besser kann es für mich nicht mehr sein. Dies allein wäre eigentlich schon Grund genug, die Kadermitgliedschaft zu beenden, was aber nicht einfach ist.

Nun ist bei mir aber auch noch mein Körper limitierend. Ich bin jetzt über 60 Jahre alt und habe diverse Operationen mit Schrauben und Platten an den Knochen hinter mir. Dass ich trotzdem noch 160 Kilometer mit meinem Power-Rössli reiten konnte, verdanke ich nicht zuletzt den Kadertrainings für uns Reiter:innen, ohne Pferd, in Magglingen und auf dem Kerenzerberg. Es war für mich grossartig und sehr motivierend, am gleichen Ort wie all die jungen Top-Sportler:innen trainieren zu können. Ohne diese Motivation hätte ich es kaum geschafft, insbesondere nach der Rückenoperation, nochmals diese Athletik zu erreichen. Aber diese 160 Kilometer der Endurance-Weltmeisterschaft 2024, unter diesen Wetterbedingungen und in einem Massenstart mit 118 Pferden, wo ich mich im hinteren Bereich dieses hochkarätigen Teilnehmerfeldes einreihen wollte, um sicherzustellen, dass ich die Kräfte von Bango gut einteilen kann, waren für meinen Körper zu viel und darum endet jetzt meine Kadermitgliedschaft.

Welche Schwerpunkte wirst du als neue Disziplintierärztin Endurance setzen? 
Als Disziplintierärztin richte ich meinen Fokus auf den nationalen Sport. Dort möchte ich einen möglichst einheitlichen Standard bei den tierärztlichen Untersuchungen im Vetgate erreichen. Ich möchte, dass die Tierärzt:innen im Vetgate nicht eine Kultur der Fehlersuche praktizieren, sondern das Wohlbefinden der Pferde möglichst ganzheitlich betrachten und ihre Beurteilungen dementsprechend abgeben. Die Frage muss immer sein, ist das Pferd «fit to continue» oder liegen Anzeichen vor, dass das Pferd auf einer nächsten Runde überfordert werden könnte? Die Herausforderung dabei ist immer, dass nicht alle Bewertungskriterien der tierärztlichen Untersuchung absolut objektiv sind und dass jede Untersuchung nur eine Momentaufnahme ist. Hier allen gerecht zu werden sehe ich als grosse Herausforderung.

Was macht die Schweizer Endurancereiter:innen und ihre Pferde aus, die ja auch regelmässig in diversen Kategorien international erfolgreich sind? 
Die meisten Schweizer Endurancereiter:innen leben und trainieren in der Schweiz und nur wenige im Ausland (Frankreich). In der Schweiz sind die Trainingsbedingungen oft nicht so ideal wie im Ausland und es gibt in der Schweiz keine Endurancereiter:innen, die Profis sind. Auch bei den Kaderreiter:innen, die in der Schweiz leben, haben die meisten nur ein einziges Pferd, das auf höchstem Niveau laufen kann und sie müssen dementsprechend ein sehr grosses Interesse daran haben, dass dieses Pferd bei einem sportlichen Einsatz keinen Schaden nimmt. Dies sehe ich als grosse Chance, dass «Welfare oft he Horse» nicht nur ein leeres Schlagwort ist, sondern tatsächlich an oberster Stelle steht. In der Schweiz sind viele Endurancereiter:innen zudem Selbstversorger und die Pferde sind fast Familienmitglieder. Kommt hinzu, dass es an Wettkämpfen der Disziplin Endurance in Europa keine Preisgelder gibt. Wir machen das wirklich aus Leidenschaft…

Veterinärmedizinisches Wissen ist in dieser Disziplin sehr hilfreich und wichtig, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Nicht nur, um sein Training gut überwachen und einschätzen zu können, sondern auch, um an einem Distanzrennen die Checkkarten mit den Bewertungen der Tieräzt:innen richtig lesen und interpretieren zu können.

Was bedeutet der Pferdesport allgemein und Endurance im Speziellen für dich?
Die Beschäftigung mit meinen Pferden ist für mich wie die Arbeit an einem Kunstwerk. Ein Kunstwerk mit dem Ziel, ein glückliches, kooperatives, schön bemuskeltes und athletisches Pferd zu schaffen. Dieses Ziel zu erreichen, fängt für mich mit der Haltung an. Meine Pferde leben in einem gut konzipierten Gruppen-Laufstall. Dann basiert mein Umgang wie auch meine Kommunikation mit dem Pferd auf den Prinzipien von Natural Horsemanship und erst dann kommt das physische, möglichst vielseitige Training dazu. Sport mit so einem Pferd ist dann wie ein Test, ob man mit der Arbeit am Kunstwerk auf gutem Weg ist. Wenn so ein Pferd dann auch noch die passende Genetik mitbringt und alles gut vorbereitet ist, dann ist auch Spitzensport absolut in Ordnung. Erfolg im Sport bedeutet dann eigentlich nur noch die Abwesenheit von Pech.

Endurance bedeutet für mich, stundenlang auch in einer neuen Umgebung auf den besten Reitwegen der Gegend unterwegs zu sein und die Athletik meines Pferdes zu spüren und möglichst richtig einzuschätzen. Die Gesellschaft von Gleichgesinnten, die am Rennen in der gleichen Gruppe unterwegs sind, ist sehr schön und motivierend und das gilt auch für das Pferd. Das Ziel in der Disziplin Endurance soll immer sein, ein Rennen mit guten Werten in der Schlusskontrolle zu beenden. Wenn einem das gelingt, dann ist das ein Sport, der der Natur des Pferdes durchaus entspricht.

Was bedeutet dir die Beziehung zum Pferd?
Eine gute Beziehung basiert auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt. Eine solche Beziehung zu jedem meiner Pferde steht für mich ganz klar über allem, also auch über sportlichen Erfolgen. Bei allem, was ich mit einem Pferd mache, also wenn ich an diesem «Kunstwerk» am Arbeiten bin, sammle ich Punkte für mein Beziehungskonto. Jeder Start in einem Distanzrennen kostet in der Regel Punkte von diesem Konto. Das Konto darf nie ins Minus rutschen, sonst wird es gefährlich. Denn wenn die Beziehung zum Pferd nicht (mehr) auf gegenseitigem Vertrauen basiert und die Instinkte des Pferdes sein Handeln bestimmen, dann sind Missverständnisse und unschöne Bilder vorprogrammiert und die Gefahr von Unfällen und Verletzungen steigt enorm.