«Das Einreiten ins Viereck ist einer meiner Lieblingsmomente»

Vom 3. bis 7. September 2025 findet im niederländischen Ermelo die Europameisterschaft der Para-Dressur statt. Für die Schweiz am Start ist Nicole Geiger mit Donar Weltino. Die Aargauerin ist nicht nur eine erfahrene Championatsreiterin und mehrfache Para-Olympionikin, sondern insbesondere eine Pferdefrau mit Herz und Seele. Im Gespräch verrät sie uns, welche Pferde ihren Weg geprägt haben und welche Rituale sie vor jeder Prüfung pflegt.

Nicole Geiger mit ihren drei Para-Olympioniken | © Katja Stürzebecher

Nicole Geiger ist seit vielen Jahren eine feste Grösse im Schweizer Para-Dressursport. Die 62-jährige Physiotherapeutin war früher mit Begeisterung auch im Springen und Eventing aktiv, als ein Reitunfall alles veränderte: Sie verlor während dem Reiten das Bewusstsein, stürzte kopfüber vom Pferd und zog sich schwere Verletzungen am Rückenmark zu, welche Teillähmungen zur Folge hatten. Aber sie kämpfte sich zurück ins Leben, zurück in den Sattel. Bis heute sind Einschränkungen im Arm geblieben.

«Was mich antreibt, ist die Faszination Pferd und die Partnerschaft mit ihnen.»

Die Para-Dressur als grosse Familie

Ihrem unbändigen Willen und ihrer grossen Leidenschaft für die Pferde ist es zu verdanken, dass sie seither bereits acht Championate für die Schweiz bestritten hat – in der Para-Dressur. Ihre erste Weltmeisterschaft ritt Nicole Geiger 2014 in Caen (FRA) mit dem selbst gezogenen Ry de Lafayette CH. Weitere Höhepunkte ihrer bisherigen sportlichen Laufbahn sind die beiden Bronzemedaillen an der Europameisterschaft in Göteborg 2017 mit dem ebenfalls selbst gezogenen Phal de Lafayette sowie die Teilnahme an den Paralympischen Spielen von Rio de Janeiro (BRA) 2016 mit Phal de Lafayette, den Paralympischen Spielen von Tokio (JPN) 2021 mit Amigo und den Paralympischen Spielen von Paris (FRA) 2024 mit Donar Weltino. Die Europameisterschaft in Ermelo (NED) vom 3. bis 7. September 2025 ist somit bereits das neunte Championat der eindrücklichen Karriere von Nicole Geiger. Das Geheimnis hinter ihrer Motivation und ihrem Erfolg? Die Leidenschaft für die Pferde! «Was mich antreibt, ist die Faszination Pferd und die Partnerschaft mit ihnen. Wenn man ein Pferd ausbildet, wächst man immer mehr zusammen, lernt sich noch besser kennen. Es ist unglaublich, was ein Pferd lernen kann! »

Am Turnier will man dann zeigen, was man gemeinsam erarbeitet hat.» Im internationalen Spitzensport sei man in der Para-Dressur wie eine grosse Familie, betont Nicole: «Im Viereck sind wir Konkurrenten, aber hinter den Kulissen besteht eine grosse Verbundenheit der ganzen Gemeinschaft. Alle Athletinnen und Athleten bringen mit ihren Einschränkungen eine Geschichte mit. Das sind Geschichten, die berühren und von den Herausforderungen des Alltags erzählen. Das verbindet. Somit ist jedes Championat, an dem man mehrere Tage zusammen ist, fast ein bisschen wie ein Nach-Hause-Kommen. Und die Pferde geniessen die Championate genauso, denn hier stehen sie allein im Zentrum und haben die ungeteilte Aufmerksamkeit des ganzen Teams.»

Nicole Geiger mit Donar Weltino an den Paralympics von Paris 2024 | © Dirk Caremans

Vielseitige Pferde

Nicole Geiger hat schon viele verschiedene Pferde auf höchstem Niveau im Para-Dressursport vorgestellt. Während sie Ry de Lafayette und Phal de Lafayette selbst gezüchtet, aufgezogen und ausgebildet hat, waren Amigo und Donar Weltino «Quereinsteiger» in der Para-Dressur. Wie unterschiedlich die Geschichte und Herangehensweise der Pferde auch ist, eines bleibt sich bei allen gleich: «Die korrekte und vielseitige Ausbildung sind zentral in der Para-Dressur. Wir brauchen absolut verlässliche Pferde, die auf feine Hilfen reagieren und sich nicht so leicht von der Umwelt beeindrucken lassen. Egal ob Jungpferd oder Quereinsteiger – es ist für mich immer wieder eine Faszination und Bereicherung, ein Pferd auszubilden. Jedes bringt seine Eigenheiten mit, die einen weiterbringen. Und ich bin überzeugt: Die vielseitige Ausbildung des Para-Dressurpferdes bringt auf ganz vielen Ebenen einen grossen Mehrwert. Meine Pferde arbeiten nicht nur auf dem Dressurplatz, sondern machen auch Springgymnastik, gehen ins Gelände und springen mal ein festes Hindernis oder gehen ins Wasser, drehen ein paar Runden auf der Galoppbahn usw.»

An der Europameisterschaft in Ermelo setzt Nicole Geiger auf Donar Weltino. Den Oldenburger-Wallach beschreibt Nicole schmunzelnd als kleinen Schelm: «Er hat einen starken Charakter und ist immer motiviert, fast schon hyperaktiv. Wenn wir ihm keine Aufgabe geben, erfindet er selbst eine, sodass man immer ein Auge auf ihn haben muss. Er ist mit seinen 9 Jahren noch jung und wissbegierig. Wenn er auf der Weide ist und ich ihn rufe, kommt er sogleich herbeigaloppiert.»

«Wenn er auf der Weide ist und ich ihn rufe, kommt er sogleich herbeigaloppiert.»

Ruhe, Routine und Rituale

Dank ihrer langjährigen Erfahrung weiss Nicole, dass gerade diese aufgeweckten Pferde an einem Turnier wie den anstehenden Europameisterschaften Ruhe und Routine brauchen. Die immer gleichen Abläufe geben ihnen Sicherheit und Selbstvertrauen. Dazu gehört auch ein eingespieltes Team. In Ermelo werden Nicole und «Döni», wie Donar Weltino liebevoll genannt wird, von Equipenchef und Veterinär Fabian Gieling, von Kadertrainerin Patricia Schärli und von Groom Clara Marggraf begleitet und betreut. «Wir sind ein eingespieltes Team. Das macht vieles einfacher. Ich bin dankbar, dass ich auf so tolle Menschen zählen darf – dazu gehören auch die Pferdebesitzer, die mir ihr Vertrauen schenken.»

«Ich bin dankbar, dass ich auf so tolle Menschen zählen darf»

Auch Nicole hat für sich ihr Ritual vor jeder Prüfung, um mental abzutauchen und sich auf die Aufgabe zu fokussieren: «Vor jeder Prüfung – am liebsten, wenn die Zuschauerränge und das Viereck leer sind – setze ich mich auf die Tribüne hinter den Richter bei C und gehe die Prüfung in meinem Geist durch. Ich kapsle mich von der Welt ab und reite jede Lektion in Echtzeit in meinen Gedanken. Ich mache mir jede Hilfe jede Bewegung bewusst, als würde ich in diesem Moment im Sattel sitzen.» Mit demselben Fokus reitet sie schliesslich auch ins Viereck ein: «Das Einreiten ins Viereck ist einer meiner Lieblingsmomente an einem Championat. Ich bin dann in einer Blase mit meinem Pferd und nehme nichts wahr ausser der Viereckumrandung – keine Richter, keine Zuschauer. Erst nach dem Schlussgruss tauche ich wieder auf und geniesse dann die Atmosphäre der Situation.»

Kürfinal als Ziel

An der Europameisterschaft in Ermelo will Nicole Geiger ihre Leistungskurve der letzten Monate unter Beweis stellen und Donar Weltino nach den Olympischen Spielen von Paris im letzten Jahr erneut eine positive Erfahrung ermöglichen: «Wir haben uns seit Paris weiterentwickelt und viel dazugelernt. Ich will in Ermelo an die wertvolle, schöne Zeit in Paris anknüpfen und die Qualität von Donar Weltino zeigen. Mein Ziel ist, eine neue persönliche Bestleistung abzuliefern und den Einzug in den Kürfinal zu schaffen. Ich bin stolz, die Schweiz an dieser Europameisterschaft vertreten zu dürfen, und möchte allen, die dazu beigetragen haben, mit einem guten Abschneiden etwas zurückgeben.»

Programm

Nicole Geiger ist im Grade V eingestuft.

Para Grand Prix A

Einzel-Medaillen und erste Qualifikationsprüfung für den Kürfinal

  • Grade II            Mittwoch, 3.9.2025, 10.00 Uhr
  • Grade I             Mittwoch, 3.9.2025, 12.00 Uhr
  • Grade III           Mittwoch, 3.9.2025, 14.30 Uhr
  • Grade IV           Donnerstag, 4.9.2025, 10.00 Uhr
  • Grade V           Donnerstag, 4.9.2025, 13.30 Uhr

Para Grand Prix B

Team-Medaillen und zweite Qualifikationsprüfung für den Kürfinal

  • Grade III           Freitag, 5.9.2025, 10.00 Uhr
  • Grade II            Freitag, 5.9.2025, 12.45 Uhr
  • Grade I             Freitag, 5.9.2025, 14.45 Uhr
  • Grade V           Samstag, 6.9.2025, 10.00 Uhr
  • Grade IV           Samstag, 6.9.2025, 13.15 Uhr

Para Grand Prix Kür

Kür-Medaillen; startberechtigt sind in jedem Grade das beste Drittel der kombinierten Ergebnisse von Para Grand Prix A und Para Grand Prix B, mindestens jedoch 8 Paare, sofern diese ein kombiniertes Mindestergebnis (Durchschnitt A+B) von 60% erreicht haben.

  • Grade III           Sonntag, 7.9.2025, 8.30 Uhr
  • Grade II            Sonntag, 7.9.2025, 10.00 Uhr
  • Grade I             Sonntag, 7.9.2025, 11.30 Uhr
  • Grade V           Sonntag, 7.9.2025, 13.45 Uhr
  • Grade IV           Sonntag, 7.9.2025, 15.15 Uhr