«Der Longines CSIO St. Gallen ist für das Team ein wichtiger Gradmesser für die Europameisterschaft»

Als Kaderverantwortlicher der Schweizer Springreit-Elite nimmt Peter van der Waaij eine verantwortungsvolle Aufgabe wahr. Was seine Rolle vor und während dem Longines CSIO St. Gallen ist und welchen Stellenwert das Turnier für die Schweizer Springreit-Elite hat, verrät der 31-jährige Niederländer im Interview.

©Tiffany Van Halle

Peter van der Waaij, wie sieht Deine Vorbereitung des Longines CSIO St. Gallen aus? 

Schon lange bevor das Turnier losgeht, stehe ich in regelmässigem Kontakt mit dem Organisationskomitee des CSIO. Wir tauschen uns aus bezüglich der Ausschreibung, besprechen die Anzahl Startplätze für Schweizer Reiterinnen und Reiter usw. Ich versuche dabei, die bestmöglichen Bedingungen für die Schweizer Reiterinnen und Reiter herauszuholen. Es ist ein Geben und ein Nehmen, und wir sind immer bemüht, Lösungen zu finden, die am Ende für beide Seiten positiv sind.

Nach welchen Kriterien entscheidest du, welche Reiterinnen und Reiter in St. Gallen an den Start dürfen? 

Die Schweiz hat für die 5-Sterne-Tour 15 Startplätze zugesprochen erhalten. Diese zu vergeben, ist nicht ganz einfach. Man kann nicht einfach die Weltrangliste nehmen und sagen, wir nehmen die 15 bestplatzierten Schweizer Reiterinnen und Reiter. Das Ranking berücksichtigt die Leistungen in den vergangenen 12 Monaten. Das bedeutet noch lange nicht, dass diese Reiterinnen und Reiter und ihre Pferde aktuell auch in Top-Form sind, um in St. Gallen zu starten. Deshalb ist es auch mein Job als Kaderverantwortlicher, die Reiterinnen und Reiter und ihre Pferde über das ganze Jahr im Auge zu behalten und regelmässige Kontakte zu pflegen. Ich muss ihre Formkurve kennen.

Die sportlichen Leistungen stehen also an erster Stelle bei der Auswahl der Reiterinnen und Reiter. Mir ist es aber auch ein Anliegen, dem einen oder anderen jungen Reiter, der in den letzten Monaten bewiesen hat, dass er das Zeug zum 5-Sterne-Start hat, in St. Gallen eine Chance zu geben. Das ist ein Blick in die Zukunft unter realen Bedingungen.

Wenn zwei Reiterinnen und Reiter auf sportlicher Ebene gleich auf sind, dann kommt auch die regionale Verankerung zum Zug. Das ist eine Geste, die wir für das Turnier und für die Zuschauer gerne machen. Aber wie gesagt: die sportliche Leistung muss zuerst stimmen.

Für diese 15 Reiterinnen und Reiter ist der Longines CSIO St. Gallen eine ideale Bühne, um sich für spätere Einsätze auf 5-Sterne-Niveau zu empfehlen.

Von den 15 Reiterinnen und Reitern kommen fünf in das Aufgebot für den Nationenpreis. Braucht es bei diesem «Mannschaftsspringen» besondere Qualitäten, auf die Du bei der Auswahl achtest? 

Es ist für jede Reiterin und jeden Reiter eine Ehre, für die Schweiz am Nationenpreis antreten zu dürfen. Das Format der Nationenwertung bringt natürlich zusätzlichen Druck mit, denn man reitet für das Team und nicht für sich selbst. Wenn es sich dann noch um den Nationenpreis der Schweiz vor heimischem Publikum mit all den Schweizer Fans handelt, ist die Atmosphäre und die Anspannung in St. Gallen noch verstärkt. Dieser Druck wirkt sich auf die Reiterinnen und Reiter aber nicht negativ aus, sondern ist eine zusätzliche Motivation, das Beste zu geben. Ich denke, mit diesem Druck können alle 15 Reiterinnen und Reiter, die in St. Gallen sein werden, sehr gut umgehen.

Auch hier kann man nicht nach den Weltranglisten-Punkten gehen, denn diese basieren wie schon erwähnt auf Prüfungen der letzten 12 Monate, und zwar von 145 cm bis 160 cm. Ein Reiter, der solide auf Niveau 150 cm springt und oft gewinnt, kann sich im Ranking gut platzieren. Genau so ist ein Reiter, der über 160 cm manchmal erfolgreich ist und vielleicht schnell reitet, aber auch immer wieder Fehler macht, nicht optimal im Nationenpreis-Team. Ich brauche konstante Reiter, die zwei solide Nullfehler-Runden über 160 cm liefern können.

Der Longines CSIO St. Gallen ist für das Team ein wichtiger Gradmesser für die Europameisterschaft in La Coruña (ESP) im Juli. Wir werden im Nationenpreis in St. Gallen mit dem bestmöglichen Team und unseren aktuellen Wunschkandidaten für die EM an den Start gehen. Das ist dann aber noch keine Garantie, dass sie dann auch selektioniert werden für die EM. Es ist noch früh in der Nationenpreissaison und es kann sich noch einiges ändern bis dahin.

Kannst Du schon sagen, wer die heissen Anwärter auf die Startplätze im Schweizer Nationenpreis-Team sind? 

Neben Martin Fuchs und Steve Guerdat sind das momentan Nadja Peter Steiner mit Mila und Edouard Schmitz mit Gamin van 't Naastveldhof. Einen fünften Namen werden wir zu einem späteren Zeitpunkt kommunizieren. Das bedeutet aber nicht, dass diese Person auch zwangsläufig der Reserve-Reiter ist; die vier Reiter, die tatsächlich den Nationenpreis reiten, entscheiden wir vor Ort.

Martin Fuchs und Steve Guerdat sind grundsätzlich gesetzt, sofern alles nach Plan läuft. Steve Guerdat muss nach seiner Verletzungspause zunächst wieder richtig fit werden. Er ist zuversichtlich, dass dies bis St. Gallen der Fall ist, und wir werden am Nationenpreis des CSIO Rom am 23. Mai 2025 sehen, wie es aussieht.

Steve und Martin sind nicht nur reiterlich, sondern auch menschlich wichtige Stützen im Team. Wenn sie ihre Runde im Nationenpreis geritten sind, kommen sie sofort zurück zum Abreitplatz, um die anderen Reiter zu unterstützen. Sie geben den anderen Reitern wichtige Informationen und Tipps weiter. Das gibt Sicherheit, und das zeichnet den Team Spirit unserer Equipe aus.

Die Bilanz der letzten Nationenpreise auf 5-Sterne-Niveau war für die Schweiz durchzogen. Wie motivierst Du Dein Team, mit Zuversicht in St. Gallen einzureiten? 

Für die betreffenden Reiter ist das natürlich am schwierigsten. Sie müssen solche Niederlagen verarbeiten und wieder optimistisch nach vorne schauen. Auch wir im Team haben analysiert, was passiert ist, und darauf reagiert. Motivieren muss ich die Reiterinnen und Reiter aber nicht. Sie wollen immer ihr Bestes geben und erfolgreich sein.

Mein Job als Equipenchef ist es, für die positive Grundstimmung zu sorgen. Ich versuche, das Team bestmöglich mental zu unterstützen. Auf der anderen Seite kann Thomas Fuchs mit seiner Erfahrung als Technik-Coach Sicherheit geben. Thomas gibt praktische Ratschläge – ich vermittle die Ruhe. Wir beide haben das Ziel, den Reiterinnen und Reitern zu sagen: «Wir haben Vertrauen in dich, du kannst das.» Das ist Team Spirit und nur so kann es funktionieren.

Welche Aufgaben hast Du dann vor Ort in St. Gallen? 

Ich werde ab dem ersten Vet-Check vor Ort sein. Zusammen mit dem Team-Tierarzt David Aebischer und mit Thomas Fuchs schauen wir uns die Pferde an und sprechen mit den Reiterinnen und Reitern, aber auch mit den Grooms und den Pferdebesitzern.

Unser Hauptfokus liegt natürlich auf den fünf Team-Reiterinnen und -Reitern. Diese begleiten wir eng und aktiv, sprechen mit ihnen das Programm ab und tauschen uns aus. Aber auch für die zehn anderen Reiterinnen und Reiter stehen wir zu Verfügung, wenn sie etwas besprechen wollen.

Der Longines CSIO St. Gallen ist für uns ideal, um alle Reiterinnen und Reiter im Parcours zu sehen und ein Update zur Form von Pferd und Reiter zu erhalten. Die Gespräche hinter den Kulissen sind mindestens so wichtig für uns, wie die Leistungen auf dem Platz. Mein Job ist es, die Übersicht zu behalten und die Puzzle-Teile zusammenzusetzen. So erhalten wir ein Gesamtbild, das uns klare Informationen gibt.

Nach St. Gallen ist vor La Coruña. Was sind die nächsten wichtigen Etappen bis zur Europameisterschaft? 

Die Europameisterschaft ist relativ früh dieses Jahr (16.–20.7. 2025).

Die Nationenpreise von Rom (ITA, 23.5.2025), St. Gallen (30.5.2025) und La Baule (FRA, 7.6.2025) folgen dicht aufeinander, sodass anschliessend sicher die Nummern 1–3 des EM-Teams feststehen werden. Nach dem Nationenpreis von Rotterdam (NED, 20.6.2025) werden dann die letzten Entscheidungen gefällt.

Schliesslich folgen noch die grossen Turniere in Aachen (GER, 27.6.–6.7.2025) und in Falsterbo (SWE, 5.–13.7.2025), wobei dort wohl nicht mehr die EM-Pferde zum Einsatz kommen werden, da diese meist noch eine Ruhepause erhalten.

Der Longines CSIO St. Gallen ist also eine wichtige Etappe auf dem Weg an die Europameisterschaft, sowohl für die Reiterinnen und Reiter samt ihren Pferden als auch für uns als Team Staff. Wir freuen uns alle sehr auf das Turnier mit seiner ganz besonderen Atmosphäre und den hervorragenden Bedingungen für die Pferde und die Reiterinnen und Reiter. Der Nationenpreis am Freitag wird ein Highlight für uns alle, insbesondere dank der grossartigen Unterstützung des heimischen Publikums.