*Gastbeitrag der OdA Pferdeberufe* Von Katja Stuppia
Wenn Karin Hanselmann mitten in der Herde steht, spürt man vor allem eines: Die Freude und die Liebe zu den Pferden. Züchterstolz auch. Denn hier tummeln sich Fohlen aus eigener Zucht, zum Teil von Müttern und Grossmüttern aus eigener Zucht. Karin Hanselmann kennt jede Abstammung, weiss, wer wie verwandt ist. Kein Wunder. Seit je her ist das Gestüt Wichenstein in Oberriet eng mit der Pferdezucht verbunden. Karins Eltern Vreni und Rino Weder gründeten das Gestüt, seit über 30 Jahren führt Karin Hanselmann nun den grossen Betrieb am Fusse der Ruine des Schlosses Wichenstein. «Zuerst stand die Pferdezucht bei uns im Mittelpunkt, nach und nach haben wir das Gestüt nun in einen Pensions- und Sportstall umstrukturiert. Parallel dazu spielt die Pferdezucht aber immer noch eine grosse Rolle», erklärt Karin Hanselmann. Sie habe mit 35 Jahren den Betrieb ganz übernommen, bereits viel früher aber schon begonnen, Lehrlinge auszubilden. Sie selbst war zuerst Zahnarztgehilfin, machte danach die damalige Bereiterlehre und realisierte später die höhere Fachprüfung zur Spezialistin der Pferdebranche mit eidg. Zertifizierung.
Seither hat sie viele Fachleute ausgebildet, noch viel mehr Pferde, viele aus eigener Zucht, von CH-Promotions-Prüfungen bis hin zum Grand-Prix geführt, ritt selber Nationenpreise für die Schweiz und gilt als Förderin nicht nur ihrer eigenen drei Kinder Linus (21), Joris (19) und Elodie (16) – alle drei höchst erfolgreich national und international in den Nachwuchskategorien unterwegs. Auch zahlreiche weitere Nachwuchs-Kaderreiterinnen und -reitern haben auf dem Gestüt Wichenstein gemeinsam mit ihren Pferden eine wortwörtliche Heimat gefunden. Während der älteste Sohn Linus im Studium zum Tierarzt ist, arbeitet Joris derzeit nach der Matura einige Monate auf dem Betrieb, ehe dann nächstes Jahr das Militär ansteht. Elodie besucht das Gymnasium.
Respektvoller Umgang
«Wichtigstes Ziel ist immer die artgerechte Haltung der Pferde und ein respektvoller Umgang mit dem Lebewesen Pferd, zu Hause und auf dem Turnier», sagt Karin Hanselmann. Nicht immer stehe dabei der Sport an erster Stelle. Das Zusammenspiel zwischen Tier und Mensch, der harmonische Einklang sei das Ziel, das sie verfolge. «Wir arbeiten strikt nach der Skala der Ausbildung. Vom Einfachen zum Schweren, wenn es zu schnell geht, geht es wieder einen Schritt zurück. Pferd und Reiter dürfen nie überfordert werden», hält Karin Hanselmann fest und ist überzeugt: «Nicht jedes Pferd, nicht jeder Mensch ist für den Sport gemacht. Jeder soll seinen Platz finden, in dem er sich wohl fühlt. Es ist für mich ein Frust, wenn ich unglückliche Pferde oder Reiter sehe, weil sie überfordert sind mit den gestellten Aufgaben.»
Grundstein für zufriedene Pferde sei natürlich eine möglichst pferdegerechte Haltung. «Dies beginnt bei optimaler Fütterung, täglicher guter Bewegung und einem abwechslungsreichen, individuellen Programm, zu dem ausgiebige Pflege, dressurmässig korrektes Reiten, longieren, viel ausreiten, bergtraben, gymnastizieren und springen gehören. Die Pferde auf dem Gestüt Wichenstein haben täglich grosse Paddocks oder Weiden zur Verfügung, teils sind sie in kleinen Gruppen gehalten. Wir optimieren stets und entwickeln den Betrieb ständig weiter», erklärt die kompetente Fachfrau.
Körperliche Fitness ist wichtig
Inzwischen steht Karin Hanselmann nicht mehr auf der Weide, sondern auf dem Reitplatz. Sie gibt Lia Baumann, der angehenden Pferdefachfrau klassisches Reiten, und ihrem Sohn Joris Reitunterricht. Der aufmerksamen Trainerin entgeht dabei nichts. Sie verlangt einiges von den beiden Reitern, dabei ist aber sofort sichtbar, dass dies immer «pro Pferd» ist. «Ich sehe es gerne, wenn die Pferde mal einen Freudensprung in der Galopparbeit machen. Wenn ich spüre, dass Pferd und Reiter konzentriert sind und gern mitarbeiten, dann sind wir auf dem richtigen Weg.» Gutes Reiten setze körperliche Fitness voraus, fügt Karin Hanselmann an. Dies sei in ihrem Betrieb gross geschrieben, ihre Schüler würden oft noch andere Sportarten betreiben, der Alltag sei streng in der Branche.
Lias und Joris’ Pferde traben inzwischen zufrieden vorwärts abwärts, sind gelöst und schnauben zufrieden. Karin Hanselmann nickt: «Lobt sie, bedankt Euch für die gute Zusammenarbeit. Das habt Ihr alle sehr gut gemacht.»
Herz des Betriebes
Der angehende Pferdefachmann EFZ, Jonas Tiefenauer, ist mit dem vierjährigen Cliff am Knotenhalfter auf den Platz gekommen. Cliff ist ein Sohn von Jonas erfolgreicher Stute Canna. Derzeit wird er sorgfältig auf seine zukünftigen Aufgaben als Reitpferd vorbereitet. «Jonas hat bereits mehrere Jungpferde angeritten», erklärt Karin Hanselmann, «er bringt sehr gute Fähigkeiten dafür mit, hat keine Angst, ist cool, feinfühlig und unkompliziert.» Heute steht Bodenarbeit auf dem Programm. «Normalerweise machen wir das in der Halle, aber es ist eine gute Übung, dies auch mal draussen, wo natürlich mehr zu sehen ist, zu machen», sagt Karin Hanselmann. Während sich Cliff von Minute zu Minute mehr entspannt und sich auf seine Aufgaben konzentriert, hat Joris für seine Mutter und sich zwei Pferde fürs Ausreiten bereit gemacht. Pensionäre sind inzwischen auf den Reitplatz gekommen, es wird gelacht, die Stimmung ist entspannt. Karin Hanselmann ist sicht- und spürbar das Herz des Betriebes. Sie verliert dabei nie die Übersicht, ist klar in ihren Aussagen und pflegt gleichzeitig aber einen lockeren Umgang mit den vielen Menschen und Tieren auf dem Hof.
Stetige Weiterbildung
Selbstverständlich gehört auch Büroarbeit zu den Aufgaben der 52jährigen Rheintalerin. «Während der höheren Fachprüfung zur Spezialistin der Pferdebranche habe ich auch vieles am PC gelernt», erinnert sie sich. «Das fiel mir zu Beginn schwer, dank des fachkundigen Unterrichts lernte ich aber schnell dazu und das brachte mir im Alltag auch viel. Die ganze Buchhaltung, Rechnungen schreiben oder sogar ein Reitschulprogramm, in welches sich die Kunden einloggen können, dies alles wende ich nun gerne an.» Gleichzeitig habe sie während der Ausbildung zahlreiche Freundschaften mit anderen Stallbetreibern geschlossen. «Wir arbeiten vernetzt, haben einen guten Berufsverband. Ich empfehle die Ausbildung jedem, der in diesem Bereich Fuss fassen möchte.»
Karin Hanselmann wäre nicht Karin Hanselmann wenn sie sich nicht permanent weiterbilden würde. Die zusätzliche Ausbildung zur Expertin der Pferdebranche mit eidgenössischem Diplom ist geplant, Weiterbildungen in Magglingen im Bereich Jugend und Sport will sie ebenfalls angehen. «Dies alles steht ganz im Zeichen der Pferde, als Vision für die Zukunft, ein so guter Pferdemensch wie möglich zu sein und das erlangte Wissen weiterzugeben.»