«Wir müssen Inklusion leben, nicht nur darüber reden!»

Im Rahmen des CD Möhlin wurde dieses Jahr erstmals auch eine Para-Dressurprüfung durchgeführt. Eine Initiative im Rahmen des Inklusionsprojekts von Swiss Equestrian, die bei allen Beteiligten auf viel Begeisterung stiess.

Siegerehrung der Para-Dressurprüfung in Möhlin (v.l.): Mirjam Stemmler (Richterin), Nicole Geiger (Grade V), Mirjam Pollara (Grade IV), Melanie von Niederhäusern (Grade IV), Ramona Zollinger (Grade II), Matthias Klausener (Grade V), Patricia Bottani (Richterin) | © Swiss Equestrian

Auf der schmucken Anlage des Birkenhofs in aargauischen Möhlin drehen talentierte Jungpferde noch die Ehrenrunde zu Musik im feierlich hergerichteten Dressurviereck, während sich in der Reithalle die nächsten Paare für die kommende Prüfung vorbereiten. Eigentlich kein ungewohntes Bild, wenn da nicht die Führpersonen, die zusätzlichen Hilfsmittel wie Zügel mit Schlaufen und Steigbügel mit Magneteinsätzen oder die nicht zu übersehende rollstuhlgängige Aufstieghilfe wäre. Die Pferde werden mit grosser Konzentration und Gewissenhaftigkeit auf die bevorstehende Aufgabe vorbereitet: eine A-la-carte-Prüfung in der Para-Dressur – für Reiterinnen und Reiter mit einer körperlichen Behinderung.

Inklusion als Chance

Für die OK-Präsidentin des CD Möhlin, Eva Bider, war dies eine Premiere – eine Challenge, die sie und ihr Team gerne annahmen: «Wir müssen Inklusion leben, nicht nur darüber reden! Die Anlage der Familie Soder bietet sich ideal für eine Para-Dressurprüfung an, da der Birkenhof bereits weitestgehend barrierefrei ist. Für die Ausschreibung und Umsetzung erhielten wir zudem grossartige Unterstützung von Swiss Equestrian. Nicht zuletzt wurde uns vom Verband die rollstuhlgängige Aufstieghilfe zur Verfügung gestellt.»

Auch wenn es auf organisatorischer Ebene das eine oder andere zu bedenken gab, wie etwa, dass für die Rollstuhl-Athletin Ramona Zollinger ein Parkplatz auf asphaltiertem Boden in unmittelbarer Nähe zur Aufstieghilfe vorgesehen wurde, so merkte Eva Bider doch in vielen Bereichen vor allem, dass das Thema Inklusion von allen Seiten positiv aufgenommen wird: «Sei es im Austausch mit Gönnern und Sponsoren oder mit Sportförderern wie Swisslos – überall wurde der Inklusions-Gedanke, den wir mit der Para-Dressurprüfung verfolgen, als Türöffner und zusätzliche Chance wahrgenommen. Das war natürlich nicht unser primäres Ziel, aber ein sehr positiver Nebeneffekt. Wir haben tollen Sport gesehen, und das ist unsere grösste Motivation als Turnierveranstalter.»

Harmonie ist entscheidend

Im Format der A-la-carte-Prüfung werden gewisse Para-Dressurprogramme zur Auswahl angeboten, und alle Reiterinnen und Reiter entscheiden selbst, welches Programm sie zeigen möchten. Dank diesem Format können sich Reiterinnen und Reiter unterschiedlicher Niveaus und Gradings (siehe Kasten) in derselben Prüfung messen – in Möhlin von der mehrfachen Paralympics-Teilnehmerin und Lokalmatadorin Nicole Geiger (Grade V) bis zu Ramona Zollinger (Grade II), die in Möhlin erst an ihrer zweiten Para-Dressurprüfung teilnahm. Und was die Para-Dressurreiterinnen und -reiter in Möhlin zeigten, konnte sich sehen lassen! Das bestätigt auch Lea Balett-Städler, die als Vertreterin des Technischen Komitees Para-Dressur in Möhlin die Athletinnen und Athleten beobachtete: «Wir haben sehr schöne Ritte gesehen in dieser Prüfung mit konzentrierten und losgelassenen Pferden. Die Pferde, die im Para-Dressursport eingesetzt werden, sind mental unglaublich stark. Sie gehen intuitiv auf das Handicap ihrer Reiterin oder ihres Reiters ein und unterstützen sie so auf ganz natürliche Art und Weise.»

Die S-Dressurrichterin und Mitglied des Technischen Komitees Dressur von Swiss Equestrian, Patricia Bottani, richtete in Möhlin erstmals eine Para-Dressurprüfung: «Ich hatte grossen Respekt vor dieser Aufgabe. Die sehr unterschiedlichen Programme, die diversen Grades – das klingt erstmal nach einer grossen Herausforderung. Doch ich habe rasch gemerkt, dass sich das Richten der Para-Dressur kaum vom regulären Dressursport unterscheidet. Ich konnte richten und benoten, wie ich es mir gewohnt bin: Losgelassenheit, Präzision, fliessende Übergänge – all das bleibt gleich. Ich richte, was ich sehe: die Ausführung des Programms, natürlich mit zusätzlichen Hilfsmitteln. Und über allem steht immer die Harmonie zwischen Pferd und Reiter.»

Strahlende Gesichter

An der würdigen Siegerehrung, die aus Gründen der Barrierefreiheit nicht auf dem Viereck, sondern auf Asphaltboden stattfand, gab es trotz einsetzendem Regen nur strahlende Gesichter, und für OK-Präsidentin Eva Bider ist klar: «Wir werden auch nächstes Jahr wieder eine Para-Dressurprüfung anbieten! Es ist eine Freude, für und mit diesen Athletinnen und Athleten unser Turnierprogramm zu bereichern.»

Auch Patricia Bottani zieht eine rundum positive Bilanz der Para-Dressurprüfung in Möhlin: «Es war toll, diese Prüfung zu richten! Die Athletinnen und Athleten sind stolz auf ihre Leistungen und dankbar dafür, dass sie diese an einem Turnier zeigen dürfen. Die Symbiose zwischen Pferd und Mensch, die wir an dieser Prüfung beobachten konnten, ist absolut faszinierend. Es hat mich beeindruckt zu sehen, wie glücklich ein Pferd seinen Reiter machen kann. Dieser Enthusiasmus ist inspirierend!»

Die Magie der Para-Dressur mit ihrer einzigartigen Verbindung zwischen Menschen mit Behinderung und ihrem Pferd, geprägt von gegenseitigem Vertrauen und gemeinsamer Leistungsbereitschaft, hat am CD Möhlin bei allen Beteiligten nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Das ist gelebte Inklusion auf Augenhöhe.

Grading

Das «Grading» bezeichnet die Einstufung von Para-Dressurreiterinnen und -reitern in verschiedene Wettkampfklassen (Grades), basierend auf dem Ausmass und der Art ihrer körperlichen Behinderung. Ziel ist es, einen fairen und vergleichbaren Wettbewerb zu ermöglichen, indem Reiterinnen und Reiter mit ähnlichem funktionellen Leistungsvermögen gegeneinander antreten. Es wird ausserdem festgelegt, welche kompensatorischen Hilfsmittel für den jeweiligen Reiter zugelassen werden.

Es gibt fünf Grades (I bis V):

  • Grade I: 
    Für Reiter:innen mit schwersten Einschränkungen. Sie reiten einfache Aufgaben im Schritt.
  • Grade II: 
    Für Personen mit schweren Einschränkungen, aber etwas mehr Kontrolle als Grade I. Die Prüfungen bestehen vorwiegend aus Schritt- und Trabarbeit.
  • Grade III: 
    Reiter:innen mit mittleren Einschränkungen, z. B. eingeschränkter Beweglichkeit in einem Arm oder Bein. Prüfungen enthalten mehr Trab, teilweise Galopp.
  • Grade IV: Für Personen mit leichteren Einschränkungen, etwa Einschränkungen in einem Arm oder einer leicht eingeschränkten Gehfähigkeit. Die Prüfungen enthalten Trab, Galopp und Seitengänge.
  • Grade V: 
    Reiter:innen mit den geringsten funktionellen Einschränkungen, etwa Einschränkungen an einem Auge oder einem Arm. Die Aufgaben sind anspruchsvoll und enthalten komplexere Dressurlektionen.

Wer nimmt die Einstufung vor?

Die Einstufung erfolgt durch qualifizierte Klassifizierer. Das sind Ärzte oder Physiotherapeuten mit einer speziellen Ausbildung. Dabei werden medizinische Diagnosen und funktionelle Fähigkeiten bewertet – z. B. Kraft, Gleichgewicht, Beweglichkeit und Koordination.

Hast du Fragen zum Para-Dressursport oder möchtest du die rollstuhlgängige Aufstieghilfe von Swiss Equestrian für Trainings oder Turniere ausleihen? Dann melde dich gerne bei Swiss Equestrian!

Barbara Hurni

Verantwortliche Inklusion

+41 31 335 43 67
Kontakt
Freibergerstute Eviana CH wartet brav und aufmerksam an der rollstuhlgängigen Aufstieghilfe auf ihre Reiterin Ramona Zollinger (Grade II) | © Swiss Equestrian
Stolz und Zufriedenheit bei Pferd und Reiterin nach der Prüfung: Melanie von Niederhäusern (Grade IV) und Clara AE CH | © Swiss Equestrian
In den Grades I bis III darf ein «Pferdefreund» am Viereckrand stehen, um dem Pferd im Viereck Sicherheit zu geben. | © Swiss Equestrian
Zügel mit Schlaufen gehören zu den erlaubten Hilfsmitteln in der Para-Dressur. | © Swiss Equestrian
Erfahrungsaustausch unter Para-Dressurreiterinnen: Die mehrfache Paralympics-Reiterin Nicole Geiger (links) im Gespräch mit Melanie von Niederhäusern, die dieses Jahr ihre erste Saison in der Para-Dressur bestreitet. | © Swiss Equestrian
OK-Präsidentin Eva Bider (links) und Richterin Mirjam Stemmler | © Swiss Equestrian