«Ich habe meine Chance gepackt und lebe heute von meiner Leidenschaft»

Gaëtan Joliat ist 19 Jahre alt und bereits Profi-Reiter. Er ist im Pferdestall aufgewachsen und hat die Schulbank gegen den Reitplatz getauscht – und hat diese Entscheidung nie bereut, obwohl es ein harter Job ist. Im Interview gewährt der junge Jurassier spannende Einblicke in seinen Alltag.

Gaëtan Jolia mit Chelsea Z ©PhotoFinish_ph

Gaëtan Joliat, wie bist Du dorthin gekommen, wo Du heute stehst?

Ich habe mich im Oktober 2024 selbständig gemacht im Stall Les Verdets in St-Blaise im Kanton Neuenburg, wo ich die Pferde der Familie de Coulon reite.

Nach der obligatorischen Schulzeit habe ich eine dreijährige Bereiter-Lehre bei der Familie Balsiger im Pferdesportzentrum Le Cudret in Corcelles absolviert. Anschliessend verbrachte ich sechs Wochen in der Normandie bei Grégoire Oberson – eine sehr bereichernde Erfahrung. Dann hat mich die Familie de Coulon kontaktiert und ich bin in die Schweiz zurückgekehrt, um die Nachfolge von Bryan Balsiger, der sieben Jahre lang hier war, und von Pius Schwizer, der ein Jahr lang hier war, anzutreten. Eine riesige Chance für mich!

Wann hast du dir gesagt: «Das ist mein Traumberuf»?

Ehrlich gesagt glaube ich, dass ich diesen Beruf schon immer ausüben wollte, auch wenn ich nach der obligatorischen Schulzeit etwas unsicher war. Meine Eltern waren nicht gerade begeistert, dass ich Profi-Reiter werden wollte. Aber für mich war es eigentlich klar. Ich konnte mir nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. In einem anderen Bereich zu arbeiten, hätte für mich keinen Sinn ergeben, denn ich will einfach jeden Tag reiten.

Damals war Thomas Balsiger bereits mein Coach. Er hat mir dann angeboten, die Bereiter-Lehre bei ihm zu machen. Nach einigem Hin-und-her haben meine Eltern eingewilligt. Thomas hat mir schon nach kurzer Zeit seine Pferde anvertraut. Inzwischen betreut er mich seit sieben Jahren und kennt mich in- und auswendig.

Du hast es erwähnt: Du tritts in Deinem jetzigen Stall in grosse Fussstapfen. Wie machst Du Dir dort einen Namen?

Das war am Anfang tatsächlich nicht ganz einfach. Ich bin der Jüngste hier, und der Stall ist sehr gut etabliert. Ich habe mir immer gesagt, ich muss bescheiden bleiben. Ich helfe mit, wo ich kann, miste auch mal die Boxen aus, wenn Not am Mann ist. Ich versuche, mit den Füssen am Boden zu bleiben, zu lernen und zu beobachten. Ich bin nicht hier, um zu warten, dass mir jemand das Pferd fixfertig bereitstellt.

Wie sieht ein typischer Tag in Deinem Leben als junger Profi-Reiter aus?

Mein Tag beginnt etwa um 7.30 Uhr. Am Morgen reite ich drei oder vier Pferde und nehme mir für jedes genügen Zeit. Je nach Trainingsplan mache ich mit ihnen Gymnastik, einen Ausritt oder Ausdauertraining. Wenn die Pferde von einem Concours zurückkommen, trabe ich mit ihnen gerne locker durch den Wald.

Thomas Balsiger kommt ein, zwei Mal pro Woche für das Training, wo wir an der Technik feilen oder die Pferde gymnastizieren – wir springen fast nie sehr hoch. Ich reite sowohl die Spitzenpferde als auch die jungen Pferde in Ausbildung. Und wenn am Nachmittag noch Pferde übrig sind, reite ich nochmals. Andernfalls nehme ich mir auch mal etwas Zeit für mich. Es ist wichtig, einen nachhaltigen Arbeitsrhythmus einzuhalten.

Wie fühlst Du Dich heute in der Rolle des Profi-Reiters?

Am Anfang konnte ich es fast nicht glauben: Mit 19 Jahren in einem Stall mit Pferden zu arbeiten, von denen viele 5-Sterne-Reiter nur träumen können. Das ist irgendwie unwirklich. Manchmal frage ich mich noch, was ich hier eigentlich mache. (lacht)

Aber die guten Resultate zeigen mir, dass ich hier meinen berechtigten Platz habe. So beispielsweise kürzlich am 3-Sterne-Turnier von in Gorla Minore (ITA), wo ich im Schweizer Team war. Ich wurde für den Nationenpreis selektioniert, habe einen Nullfehlerritt geschafft und wir wurden Zweite. Da denkt man bei sich: «Dafür habe ich gearbeitet, und ich kann das.» Natürlich läuft es nicht jedes Wochenende so gut, aber das gehört zu unserem Sport dazu.

Wo findest Du Deine Motivation im Alltag, auch in schwierigen Momenten?

Ich funktioniere da eigentlich ganz einfach. Wenn ich merke, dass etwas nicht gut läuft, dann verliere ich nicht gleich den Kopf. Ich mache einen lockeren Ausritt durch den Wald, um etwas Distanz zu gewinnen. Ich sage mir, dass es nur ein schlechter Tag ist und dass andere, bessere Tage folgen werden. Manchmal liegt es an mir, manchmal liegt es am Pferd… Ich sage mir: «Morgen machen wir es besser.» Was zählt, ist Vertrauen zu haben in die Arbeit, die wir geleistet haben. Es gibt immer Höhen und Tiefen. Das ist normal. Davon lasse ich mich nicht so schnell aus dem Konzept bringen.

Wie wählst Du Die Pferde aus für ein grosses Turnier wie den Longines CSIO St. Gallen?

Diese Entscheidung treffen wir im Team. Ich sage meine Meinung, Thomas Balsiger die seine, und natürlich hat auch der Besitzer der Pferde ein Wörtchen mitzureden. Für St. Gallen ist im Moment geplant, dass ich Just Special VK mitnehme – eine richtige Kämpferin, zuverlässig, mutig und mit einem grossen Herzen. Sie ist perfekt zum Lernen. Und dann noch Chelsea Z, der schon mehr Erfahrung mitbringt und sehr fein zu reiten ist, dafür aber ein sehr präzises Reiten erfordert.