«Es ist unglaublich schön, wieder auf und mit den Pferden zu sein!»

Melanie von Niederhäusern war eine begeisterte und ambitionierte Dressurreiterin, bis eine akute Porphyrie sie bis zu einer totalen Lähmung brachte. Nach langen Monaten der Behandlung und Rehabilitation ist sie heute wieder im Sattel – in der Para-Dressur. Die Pferde haben auf ihrem Weg zurück in den Alltag eine zentrale Rolle gespielt.

Para-Dressurreiterin Melanie von Niederhäusern | © Swiss Equestrian

Fleissig und konzentriert arbeitet Melanie von Niederhäusern mit der Stute Clara auf dem Reitplatz des Dressurparks im bernischen Schwarzenburg an den Übergängen. Im Unterricht bei der Inhaberin des Dressurparks und Besitzerin von Clara, Cornelia Rychen, sieht man Melanie nicht an, welche Herausforderungen sie meistern musste, um wieder so scheinbar selbstverständlich trainieren zu können.

Wiedereinstieg über die Hippotherapie

Alles begann mit heftigen Bauchschmerzen und neurologischen Ausfällen bis hin zum Erblinden und schliesslich einer vollständigen Lähmung. Diagnose: Akute Porphyrie, eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung. Was folgte, waren monatelange Klinikaufenthalte von der Intensivstation bis zur Reha. «Ich konnte weder essen noch atmen und musste wieder lernen zu sprechen», erklärt die 34-jährige Oberstufenlehrerin.

Ein erster Lichtblick war für sie, als sie im Schweizer Paraplegiker-Zentrum im luzernischen Nottwil erstmals wieder zu den Pferden durfte, dank der Hippotherapie. Bereits auf der Intensivstation und vollbeatmet hat das Team des Schweizer Paraplegiker-Zentrums Pferdebesuche organisiert, und später folgte die Hippotherapie auf dem Rücken der Isländer. «Das Gefühl, auf dem Pferderücken getragen zu werden, ist einzigartig und unbeschreiblich schön, umso mehr, wenn man Monate in Klinikbetten und im Rollstuhl verbracht hat», erinnert sich Melanie.

Para-Dressur als Meilenstein

Zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung war Melanie bereits seit vielen Jahren begeisterte Dressurreiterin und trainierte seit über zehn Jahren bei Cornelia Rychen in Schwarzenburg. Auch für die Trainerin und die ganze Stallgemeinschaft war die Diagnose ein Schock. «Melanie ist für mich mehr als eine Reitschülerin. Über die Jahre hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Als ich sie im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil besuchte, konnte Melanie noch nicht wieder richtig sprechen. So haben wir gemeinsam Fotos der Pferde auf meinem Handy angeschaut und ich habe ihr Geschichten erzählt. Die Pferde waren und bleiben unser Bindeglied», erzählt Cornelia.

Melanie kann sich noch gut erinnern, wie sie während ihrer Wochenendurlaube zu Hause, noch während der Reha in Nottwil, mit der Hilfe ihrer Familie wieder aufs Pferd wollte: «Mit einem Klettergurt hat die Familie mich aufs Pferd gezogen! Ich wollte das unbedingt und wenn ich mir etwas vorgenommen habe, dann setze ich das auch um, komme was wolle. Man könnte auch sagen, ich bin da etwas stur…», berichtet Melanie schmunzelnd.

Dank der Begleitung von Cornelia schafft es Melanie nach und nach, wieder sportlich zu reiten. Was bleibt, ist insbesondere eine muskuläre Schwäche und Lähmungen in Händen und Füssen. Um diese zu kompensieren, reitet sie mit zwei Gerten, Magnetsteigbügeln und Zügeln mit Handschlaufen. Auch der Wunsch zur Rückkehr in den Turniersport wurde immer grösser, sodass ein «Grading» (siehe Kasten) nötig wurde. Ein wichtiger und keineswegs einfacher Schritt für Melanie: «Ich ging mit der Einstellung zum Grading, dass ich dort die Bescheinigung erhalten würde, dass ich gesund bin. Dass ich schliesslich im Grade IV eingeteilt wurde, war zunächst nicht einfach für mich, zu akzeptieren. Aber es hat mir natürlich auch neue Möglichkeiten eröffnet, und ich wurde in der Para-Dressur in eine tolle Gemeinschaft aufgenommen. Man tauscht sich aus, man hilft sich gegenseitig. Inzwischen kann ich das auch dankbar annehmen.»

Trainingsalltag in der Para-Dressur

Heute reitet Melanie von Niederhäusern viermal in der Woche, davon einmal im Training bei Cornelia Rychen. Zusätzlich ist sie wöchentlich in der Physio- und Ergotherapie. Ihr Ausdauertraining holt sie sich – soweit möglich – beim Hundespaziergang. Im Stall und mit den Pferden ist Melanie weitgehend selbständig, punktuell unterstützt von ihrer Schwester Cindy. Die beiden Schwestern teilen seit jeher ihre Leidenschaft für die Pferde und sind ein eingespieltes Team.

Zum Team gehört selbstverständlich auch Cornelia Rychen, die sich in ihrer Rolle als Trainerin einer Para-Dressurreiterin erst einmal zurechtfinden musste: «Anfangs war ich sehr vorsichtig. Es durfte ja nichts passieren und ich wollte jeden Frust bei Melanie vermeiden. Was besonders wichtig war und immer noch ist: die offene Kommunikation, um das richtige Mass im Training zu finden. Heute muss ich Melanie eher bremsen, denn sie ist sehr ehrgeizig. Aber es ist klar: Ich vermittle Sport, nicht Therapie. Ich verfolge mit Melanie dieselben Ziele wie mit Reiterinnen und Reitern im Regelsport – nur lassen wir uns mit Melanie mehr Zeit, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Meine Philosophie bleibt dieselbe: Dressurreiten muss harmonisch sein, ob mit oder ohne Einschränkung.»

Für Melanie sind das Reittraining und die Selbständigkeit im Stall zu einem wichtigen Anker im Alltag geworden: «Es fällt mir manchmal noch immer schwer, um Hilfe zu bitten und damit eine Schwäche einzugestehen. Aber ich weiss, es gehört dazu, und es hält mich nicht auf. Es ist unglaublich schön, wieder auf und mit den Pferden zu sein! Und die Teilnahme am Turniersport in der Para-Dressur bereitet mir enorm viel Freude und gibt mir ein Ziel. Pferde sind meine grosse Leidenschaft und ich habe immer den Ehrgeiz, Grenzen zu erkunden – auch wenn es heute manchmal schwieriger ist, meine Grenzen zu akzeptieren. An erster Stelle steht aber immer das Pferd, Clara, das mir von Cornelia so grosszügig zur Verfügung gestellt wird. Die Stute gibt mir in jeder Lebenslage ein gutes Gefühl und die Überzeugung, dass ich meine Ziele im Sport und im Alltag erreichen kann.»

«Grading» in der Para-Dressur

In der Para-Dressur ist das «Grading» die offizielle Einstufung von Reiterinnen und Reitern in festgelegte Leistungsklassen (Grade I bis V) anhand ihrer körperlichen Beeinträchtigungen und funktionellen Fähigkeiten. Diese Einteilung erfolgt nach einer detaillierten medizinischen und sportfachlichen Klassifikation durch geschulte Fachleute, um faire Wettkampfbedingungen zu gewährleisten. Je niedriger der Grade, desto stärker sind in der Regel die körperlichen Einschränkungen – und entsprechend sind die geforderten Dressuraufgaben angepasst. 

Ein Grading für den nationalen Para-Dressursport ist jederzeit auf Anmeldung bei Swiss Equestrian möglich.

Barbara Hurni

Verantwortliche Inklusion

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